© Tezuka Productions

Osamu Tezuka gilt häufig als der unangefochtene Vater oder gar Gott des Manga und hat für die japanische Comic- und Trickfilmkunst einen ähnlich hohen Stellenwert wie Walt Disney für die US-Amerikanischen Pendants. In seiner Heimatstadt Takarazuka wurde ihm zu Ehren 1994 das Tezuka-Osamu-Museum errichtet, der Manga-ka und seine Figuren zierten außerdem zahlreiche japanische Sonderbriefmarken. Zeitlebens hatte der umtriebige Künstler mehr als 700 Mangas produziert, darunter Klassiker wie Astro Boy, Black Jack oder Kimba der weiße Löwe, die zum festen Inventar der japanischen Pop-Kultur gehören. Letzterer wurde zwischen 1950 und 1954 erstmalig als Magazinveröffentlichung im Manga Shonen publiziert, und 1965 als 52-Folgen starke Serie ins Anime-Format übersetzt. Durch die Beteiligung der amerikanischen NBC war Kimba der Weiße Löwe die erste farbige Fernsehserie Japans. In Deutschland hingegen wurde Kimba erst 12 Jahre, 1977, durch den ZDF ausgestrahlt. Und zwar um 13 Folgen gekürzt, die später in der Nachfolgeserie Bobou, König der Tiere nachgereicht worden sind, dabei aber aus rechtlichen Gründen inhaltlich angepasst werden mussten. Mit dem am 8. Dezember 2017 veröffentlichten ersten Volume von Kimba der Weiße Löwe, welches die Folgen 1-26 umspannt, lieferte Nipponart eine weltweit erstmalige Blu-Ray Umsetzung der kultigen Serie, die mit Blick auf die Bildqualität aufwendig restauriert worden ist. Die zweiteilige Gesamtausgabe enthält in diesem Zuge auch die fehlenden 13 fehlenden Episoden, sowie die lang verschollene Episode „Dschungeldame mit Hut“. Grund genug uns den Klassiker noch einmal genauer anzuschauen, ob er denn auch ohne rosarote Nostalgie-Brille funktioniert.

STORY

Der weiße Löwe Cäsar (im japanischen Panja) ist ein gütiger und ebenso mutiger Herrscher über sein Dschungelreich, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Tiere aus der Gefangenschaft der Menschen zu befreien, das Tierreich so zu einen und eine egalitäre Koexistenz zwischen Mensch und Tier zu schaffen. Dass er damit nicht unbedingt das Wohlwollen der Menschen genießt, die er um ihren Besitz bringt, dürfte klar sein. Eines schicksalhaften Tages bringen schmierige Großwildjäger seine schwangere Partnerin Snowine in ihre Gewalt, um den rebellischen Löwenkönig aus der Reserve zu locken. Beim Versuch, seine Gefährtin aus den Fängen der Menschen zu befreien, wird er getötet. Sein Sohn Kimba wird schließlich auf der langwierigen Schiffsreise geboren, welche seine Mutter Snowine in einen Zoo am anderen Ende der Welt bringen soll. Sie erzählt ihrem Jungen von Cäsars Vision, und dass er dessen königliches Erbe antreten soll. Dem Jungtier gelingt schließlich mithilfe der Ratten, unter der Führung der französischen Ratte Jaques, die Flucht – Er springt über Bord und findet unter großen Mühen, Tagen und Nächten auf offener See, schließlich an Land. Just bevor das Schiff bei einem Sturm sinkt.

Fortan muss sich der altruistische Prinz und Anwärter auf den Königsthron im Tierreich bewähren, als solcher von seinen Untergebenen anerkannt werden. Dazu baut Kimba nach dem Vorbild der Menschen eine Farm, welche über die Dürreperiode hinweghelfen soll und die Tierwelt mit agrarwirtschaftlichen Bestrebungen autark versorgen soll. Es werden Spielplätze erbaut, vegetarische Restaurants eröffnet und auch die Sprache der Menschen soll in Schulen erlernt und gelehrt werden. Zwischenzeitlich lernt Kimba Werte wie Großzügigkeit und den Wert der artübergreifenden Freundschaft von seinem menschlichen Freund Kenichi. Auch das muss in Anbetracht instinktverankerter Dispositionen gelernt werden. Die Rahmenhandlung wird dabei als intradiegetische Erzählung durch Kimbas Mentor und Freund, den weisen Pavian Daniel erzählt, der die vierte Wand durchbricht und sich direkt an die menschlichen Zuschauer wendet. Trotz des kindlich-naiven Tonfalls, der natürlich klar auf Kinder als Publikum abzielt, ist Kimba der Weiße Löwe höchst politischer Stoff, der in den bunten Bildern und den liebenswerten Figuren einen ziemlich ernsthaften, gesellschaftlich relevanten Subtext unterbringt und demnach auch für Erwachsene ziemlich interessant sein dürfte. Denn die Antagonisten sind hier neben den speziesistischen, im Grunde aber rassistisch angelegten Menschen vor allem auch so autoritäre und ewiggestrige Figuren wie das Wasserbüffel Samson, das klar sozialdarwinistische Wertemuster vor her trägt oder der reichtlich verbohrte Mandrillaffe Bigot (der seinen Charakterzug schon im Namen trägt). Hier lässt sich auch die gesellschaftliche Relevanz eines Osamu Tezuka ablesen, denn wie auch schon bei Astro Boy, das im Grunde ebenfalls ein Plädoyer gegen Rassismus darstellt, bildet in Kimba der Weiße Löwe ein stark ausgeprägter humanistischer Ton das Fundament für die Handlung. Ja, mit Fleiß, Toleranz und Empathie ist eine bessere Gesellschaft möglich. Insofern sollte Kimba der Weiße Löwe Pflichtprogramm für all jene sein, die auf rechtspopulistische Meinungsmache hereinzufallen drohen und in der Spaltung der Gesellschaft tatsächlich soetwas wie eine Lösung sehen. Damit thematisiert die Serie das soziale Klima und gesellschaftliche Hierarchien im japanischen Kaiserreich kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges, die Wirren der Post-WW2-Zeiten mit all ihren Enbehrungen, aber an einigen Stellen auch klar die Nachwirkungen der Atombomben-Abwürfe über Hiroshima und Nagasaki. Für ein Produkt der unmittelbaren Nachkriegszeit ist Kimba der Weiße Löwe bemerkenswert progressiv.

Auf die altbekannten Rip Off-Vorwürfe bezüglich dem opulenten König der Löwen aus dem Hause Walt Disney will ich an dieser Stelle gar nicht allzu sehr eingehen, weil das Thema im Netz zu Genüge erschöpft  worden ist. Klar ist wohl, Disney hat sich nicht nur ästhetisch bei der Tezuka-Vorlage bedient, sondern auch einige Szenen und Figurenkonstellationen direkt übernommen. Ein Umstand, den sie bis zum heutigen Tage dementieren mit dem Verweis darauf, dass sie zum Zeitpunkt der Entstehung von Der König der Löwen keinerlei Kenntnis von Tezuka’s Serie gehabt hätten. Tezuka Productions selbst hatten keine Klage erhoben, weil sie selbst sich beim Figurendesign von Walt Disney-Produktionen wie Bambi haben inspirieren lassen.

Trotz des komplexen abgehandelten Themenspektrums nagt aber natürlich auch an Kimba der Weiße Löwe der Zahn der Zeit. So wird der Otto-Normal Animezuschauer mit einer Reihe von zumeist narrativen  Problemen konfrontiert, die typisch für Produktionen aus dieser Zeit sind. Die Erzählstränge einzelner Szenen innerhalb der Episoden stehen häufig für sich allein, ohne einer übergeordneten Handlung unterworfen zu sein. Und gleichermaßen funktionieren die Episoden auch über die gesamte Serie hinaus eher autonom, ähnlich wie beim Monster-of-the-Week oder Case-of-the-Week-Format früherer Krimi- oder Mysteryserien. Das Irritierende daran ist, dass die Beziehungen zwischen den Charakteren nicht immer kohärent sind und es so wirkt, als seien frühere Szenen schlicht nicht beachtet oder vergessen worden. Dadurch wirken die Episoden partiell recht unrund. Allerdings liegt dieser Umstand wohl am Einfluss der NBC, welche in der episodischen Aufteilung eher an die US-Amerikanischen Sehgewohnheiten anknüpfen wollte, statt am epischen, fortlaufenden Plot des Mangas. Und zugleich hat man beim Schnitt so angesetzt, dass die Folgen 1 und 8 jeweils ineinander griffen und die Folgen 2-7 der japanischen Erstaustrahlung weggelassen werden konnte. Das sind eben die zeitbedingten Eigenheiten des Mediums.

BILD UND ANIMATION

Osamu Tezuka’s unverkennbarer Stil hat einen zeitlosen Charme und der überträgt sich natürlich auch auf die Optik der Anime-Umsetzung. Bei einer Serie aus den Mittsechziger-Jahren darf man natürlich keinen superimposanten, realistischen Stil erwarten. Stattdessen haben wir die typischen großen, runden Augen als DAS Tezuka-Trademark und die eher cartoonigen, am US-Stil orientierten Proportionen. Die Tiere sind natürlich stark anthropomorph, also menschenähnlich, dargestellt. Die Darstellung der Menschen hingegen erinnert stark an Figuren aus der frankobelgischen Comicreihe Tin Tin oder an Popeye. Durch die kräftigen Farben ergibt das einen anachronistischen, aber sehr putzigen Retro-Charme.

Die Fassung von Nipponart ist Digitally Remastered und bei der digitalen Frischzellenkur wurde auch schlichtweg grandiose Arbeit geleistet. Gerade im Vergleich zu früheren Ausgaben, die mit eher blassen Farbwerten und aufploppenden Artefakten (bedingt durch die mangelhafte VHS-Digitalisierung) zu kämpfen hatten, punktet die Blu-Ray Fassung mit einer sehr satten Farbgebung und beeindruckenden Bildschärfe- und Kontrastwerten. Das Bildformat fällt natürlich standardmäßig auf 4:3 in der 16:9 Pillarbox. Alles andere wäre hier auch beinahe Schwachsinn.

Natürlich sind nicht alle Animationsfehler ausgemerzt worden, und der Zeichenstil ist, gerade was die Hintergründe anbelangt, immer noch recht abstrakt geraten. Aber insgesamt ist die Nipponart-Ausgabe für Fans und Einsteiger dennoch die beste erhältliche Ausgabe des Anime-Klassikers und macht in dieser Form einfach Spaß.

TON UND SYNCHRONISATION

Die Synchronisation ist so ein Aspekt, der mein Nostalgie-Bedürfnis massiv befriedigt und ganz stark zum Retro-Feeling beiträgt. Man sagt ja immer, früher war alles besser. In den meisten Fällen widerspreche ich, aber Voice Acting ist so ein Ding, wo ich tatsächlich sage, die Vertonung war früher oftmals tatsächlich hochqualitativer und gewissermaßen auch sinnlicher und weniger steril. Das betrifft alte Anime aus den 70ern wie Heidi oder Biene Maya ebenso wie ältere Serien á la Wunderbare Jahre.

Und ja, mit wundervollen und erfahrenen Sprechern wie Oliver Grimm als Kimba, Klaus Miedel als Daniel oder Harry Wüstenhagen als Bucky kann und konnte Kimba der Weiße Löwe auf eine fürwahr illustre Sprecherriege zurückgreifen. Der Genuss der durchweg kindertauglichen Dialoge gleicht dabei einem guten Hörspiel und wirkt seltsam heimelig und kuschelig warm. Wunderbar! Auf eine japanische Synchronisation muss man in dem Fall leider verzichten – Ich kann mir aber auch nur schwer vorstellen, dass der O-Ton auf dieselbe Art und Weise greifen würde. Auch die Musikuntermalung kommt mit dem PCM 2.0 Sound ganz gut zur Geltung.

Aber natürlich, und das ist angesichts des Alters recht offensichtlich, kann man keine direktionalen Soundspielereien oder allzu voluminösen Bässe erwarten. Der Ton ist eher auf die Höhen- sowie die Front ausgerichtet. Es fällt aber naturgemäß schwer, dem Anime oder den Jungs und Mädels vom Mastering dieses Manko anzukreiden.

PHYSISCHE UMSETZUNG UND EXTRAS

Nipponart-typisch kommt Kimba der Weiße Löwe in einer sehr schicken Aufmachung auf den Markt. Dicke Digipacks im Pappschuber mit hübschen Artworks im Innenbereich gehören ohnehin zum Standard des Labels. Und natürlich darf auch der obligatorische etwa A5-große Sticker nicht fehlen. Ähnlich wie zuletzt bei Haibane Renmei gibt es statt einem Poster ein kleines Booklet, in welchem Charakter Designs und Anmerkungen durch Osamu Tezuka zur Evolution der Figuren enthalten sind.

Leider haben es als Extra nur der originale Vor- und Abspann auf die Disc geschafft, was bei einem derartigen Klassiker herzlich schade ist. Hier wäre ggf. deutlich mehr drin gewesen, etwa eine kleine Reportage zur Entstehungsgeschichte oder allgemein etwas zum legendären Schöpfer hinter der Serie.

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kimba_der_weisse_loewe_trailer_dt from Tim Lemke on Vimeo.

FAZIT:

Kimba der Weiße Löwe funktioniert auf vielen Ebenen auch heute noch und hält seinen Klassiker-Status berechtigterweise inne. Denn Altmeister Tezuka hat hier neben einem von tiefem Humanismus geprägten Lehrstück für Kinder mit einem sympathischen und bezaubernden Figurenensemble vor allem einen Abgesang auf das Kaiserliche Japan und die militaristische Gesellschaft gezeichnet. Kimba der Weiße Löwe ist ein Statement für eine pluralistische und egalitäre Gesellschaft. Trotz der narrativen Brüche ist Kimba der Weiße Löwe eine ungemein berührende  Geschichte für Jung und Alt, die zurecht fester Bestandteil der japanischen Pop Kultur ist. Das hochwertige digitale Remastering, die wunderbare Sprecherriege und die schicke Aufmachung tragen ihr Übriges dazu bei, weshalb es an dieser Stelle eine uneingeschränkte Empfehlung für diese Box gibt.

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ALLGEMEINE DATEN

© Tezuka Productions
Veröffentlichung: 8. Dezember 2017

 

Publisher:  Nipponart

Genre: Coming-of-Age, Abenteuer, Dramedy

Laufzeit: ca. 650 min

FSK: 6

Bild: 1080p, 16:9 Pillarbox

Ton/Sprache:  Deutsch PCM 2.0

Untertitel:

 

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Kimba der Weiße Löwe Vol. 1 [Blu-Ray]

Kimba der Weiße Löwe Vol. 1 [DVD]

Handlung:

Bei dem Versuch, seine Frau aus den Fängen übler Großwildjäger zu befreien, verliert der weiße
Löwenkönig Cäsar sein Leben und sein Sohn Kimba muss auf einem Schiff das Licht der Welt
erblicken. Kimba gelingt jedoch die Flucht und er kann in den Dschungel zurückkehren. Dort will er
den Traum seines Vaters Wirklichkeit werden lassen: Alle Tiere und Menschen sollen in Harmonie
zusammenleben. Unterstützt wird er bei diesem Vorhaben von seinen Freunden Pauly, dem
Papagei, der Antilope Bucky und dem weisen Pavian Daniel.

Quellen: nipponart.de, Amazon.de,
Copyright: © Yoshitoshi Abe – Aureale Secret Factory

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