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Ein Fan des Sonic the Hedgehog-Franchises zu sein gleicht seit jeher, spätestens aber mit dem Ende der Dreamcast-Ära, einer wilden Achterbahn der Gefühle. Fragwürdige Design-Entscheidungen bezüglich der Spielmechanik(en), eine stetige Erweiterung des Sonic-Universums um neue, nur minder charismatische, Charaktere und immer hanebüchere Handlungsstränge sind nur einige der Problemzonen, mit denen die Reihe immer wieder zu kämpfen hat. Aus der einstigen Killerapp im „Console Wars“ der 1990er Jahre ist eine zwar nach wie vor präsente Marke geworden, deren qualitativ extrem schwankende Borderline-Persönlichkeit aber mittlerweile selbst Fans des blauen Igels ermüdet. Mittlerweile hat sich folgende Formel etabliert: Auf jedes gute Sonic-Spiel (hier seien etwa Spiele á la Sonic Colours oder Sonic Generations genannt) folgt ein mittelmäßiger bis unterirdischer Franchise-Beitrag (das in zahlreichen Memes verspottete Sonic 06, Lost Worlds oder das unsägliche Sonic Boom: Rise of Lyric etwa). Die Zeiten, in denen ein Sonic-Spiel in irgendeiner Form mit den handwerklich nahezu perfekten Mario-Plattformern konkurrieren konnte, scheinen weit zurückzuliegen. Nachdem Christian Whitehead zuletzt mit dem wirklich grandiosen Sonic Mania gezeigt hat, dass klassische 2D-Sprites, ein ausgefeiltes Level Design und hohe Geschwindigkeit immer noch die Tugenden sind, auf die sich ein Sonic berufen sollte, habe ich nun wenige Monate nach dem Sonic Mania-Release den aktuellen 3D-Teil, Sonic Forces, vorliegen. Die Frage ist: Hat SEGA dazugelernt oder verliert sich der blaue Igel abermals im konzeptlosen Temporausch?

SONIC WITH A CAUSE

Die Story dürfte vertraut klingen: Abermals versucht Dr. Eggman die Welt zu unterjochen. Dazu schart er einen illustren Reigen aus Finsterlingen sowie die mächtigen Phantomkristalle um sich: Mit Metal Sonic, Shadow the Hedgehog, Chaos und Zavok wartet er mit einem altbekannten „Who’s Who?“ der Franchise-Antagonisten auf. Dazu gesellt sich ein mysteriöser Newcomer, der auf den Namen Infinite hört. Jener entpuppt sich als wahrhaft mächtig, sodass Sonic es nicht vermag die neue Bedrohung aufzuhalten. Im Gegenteil: Sonic wird in ein geheimes Versteck entführt und sechs Monate später liegt die Welt nahezu vollständig in Eggman’s tyrannischer Hand.

Nur eine kleine Widerstandstruppe um Knuckles the Echidna und seinen Freunden trotzt den Machenschaften Eggman’s. Neben dem pummeligen „Classic Sonic“, der aus dem Wurmloch des Sonic Mania-Finales ins Forces-Universum geschleudert wird, rekrutiert der Widerstand mit „Rookie“ bzw. Avatar ein neues Mitglied, um Sonic aus den Fängen Eggman’s zu befreien.

Und hier kommt eine prominente Neuerung ins Spiel: Erstmalig in einem SONIC-Spiel dürft ihr euren Charakter selbst erstellen. Mit einem simplen Charakter-Editor dürft ihr Tierart, Aussehen, Stimmchen und Siegerpose festlegen. Die Wahl der tierischen Archetypen bestimmt dann auch noch die Spezialfähigkeiten, über die ihr verfügt und von denen es sieben an der Zahl gibt. Während ein Vogel-Typ Doppelsprünge einsetzen kann, wird ein KatzenHeld auch nach einem gegnerischen Treffer mindestens einen Ring beibehalten. Hunde dürfen nach dem Ableben mit 5 Ringen beginnen –  Wölfe hingegen vermögen Ringe in ihrer Umgebung anzuziehen. Bären sind naturgemäß ein wenig brachialer und können mit der „Wire“-Attacke die Widersacher wegschleudern, Hasen sind wiederum ein wenig defensiver angelegt und sind nach einem Treffer längere Zeit unverwundbar. Last but not least können Igel-Typen auch dann noch Ringe einsammeln, wenn sie einen gegnerischen Angriff einstecken mussten. Dadurch spielen sich die individuellen Spielerkreationen dezent anders. Primär ist das Feature wohl aber auch dem Umstand geschuldet, dass das Sonic-Franchise seit jeher eine kreative Fanbase mitbringt, die eine schier unglaubliche Menge an Fanarts hervorgebracht hat und die nun erstmals die Möglichkeit hat mit einem eigenen Helden zu spielen. Das Maß an Fan-Service geht so weit, dass man seine Kreationen an andere SpielerInnen ausleihen kann bzw. die „Avatare“ anderer SpielerInnen in spezifischen Stages nutzen kann.

DRESSED TO IMPRESS, EQUIPPED TO KILL

Dabei wird es natürlich nicht belassen. Neben dem Aussehen, das jederzeit bearbeitet werden kann, und auch mit modischen Accessoires versehen kann, die einem primär ästhetischen Zwecke dienen, seien es Hutbedeckungen, Handschuhe oder Gürtel, könnt ihr euren Helden mit sogenannten „Wispons“ ausstatten. Das sind im Grunde genommen Waffen, die neben ihrer rein destruktiven Kraft aber auch mit der Umgebung interagieren können. Analog zu den tierischen „Special Abilities“ gibt es auch sieben Wispons – Mit dem „Burst“- bzw. „Feuer“-Wispon könnt ihr nicht nur eure Widersacher brutzeln lassen, sondern euch mittels eines Feuerstrahles auch in die Luft hieven. Der „Würfel“-Wispon wiederum kann beispielsweise weitere Plattformen in der Luft erzeugen bzw. eure Gegner in einen Würfel verwandeln, der Ringe absondert, wenn er zunehmend zerstört wird.

AUF DEM BALANCEAKT ZWISCHEN KONTROLLE UND TEMPO AUSGERUTSCHT

Tatsächlich ergibt sich aus der Kombination tatsächlich ein bemerkenswert divergentes Spielgefühl, dass einen an selige Sonic Adventure-Zeiten erinnert. Wenn, ja, wenn nicht das merkwürdig schwammige Pacing wäre. Denn während man sich an die dezent anderen Steuerungsmechanismen leicht gewöhnen kann, wirkt die Spieldynamik, das heißt Tempo und Flow, seltsam unausgegoren. Man orientiert sich spielerisch weitestgehend an Sonic Generations, das seinerzeit ziemlich gut funktioniert hat. Bei Sonic Forces hingegen fühlen sich die 3D-Passagen extrem automatisiert und lieblos an, während die 2D-Passagen sich irgendwo auf dem Balanceakt zwischen Tempo und Kontrolle verlieren.  Außerdem wirkt die Level Architektur in den 2D-Passagen partiell unnötig widerspenstig und fühlt sich an anderen Stellen wiederum erstaunlich unfertig an. Exemplarisch steht hier für mich die an die Casino Night-Stages angelehnte Casino Forest Zone, die den Glamour der erstgenannten Zone mit dem urwüchsigen Background der Silent Forest-Zone aus Sonic Lost Worlds vermengt. Die Platzierungen der (rar gesäten) Gegner und Fallen sind aber merkwürdig willkürlich, sodass sich kein rechter Spielfluss einstellen will. Grundsätzlich: Als Lead Programmer Hiroki Tokunaga im Gespräch mit Polygon erzählte, dass man sich stark beim Spielgefühl von Sonic Mania inspiriert habe, war ich guter Dinge, dass sich das spielmechanisch in positiver Weise auch auf Sonic Forces übertragen ließe. Denn „Look and Feel“ haben bei Sonic Mania schlicht gut funktioniert. Bei Sonic Forces hingegen spielen sich gerade die „Classic Sonic“-Passagen, bisher eine der Stärken der neueren Titel, fast schon zu klobig – weil sich das Plattforming unnötig zäh und unpräzise gestaltet und der Geschwindigkeits-Impuls häufig unterbrochen wird. Das Level-Design macht dem Temporausch schlicht einen Strich durch die Rechnung. Die (ohnehin rar gesäten) „Modern Sonic“-Passagen hingegen sind wie bereits oben erwähnt auf Geschwindigkeit ausgelegte Automatismen, in denen man nur wenig Einfluss auf das Gameplay hat. Wenn dann aber noch zusätzlich zum auf Schienen ablaufenden Spielgeschehen Elemente wie Quick Time Events oder komplett non-interaktive Sequenzen hinzukommen, fühlen diese sich einfach nur deplatziert an. Selbiges betrifft die Boss-Battles – Die sind vereinzelt recht intensiv und fordernd, in vielen Fällen setzt man auf ein wiederkehrendes Spielelement: Man verfolgt den Boss-Gegner, drückt mit der „Boost“-Mechanik aufs Gas und drückt in einem limitierten Zeitfenster, in welchem der Boss anvisiert wird, auf den entsprechenden Button, um Schaden zuzufügen. In der Zwischenzeit gilt es natürlich den Angriffsmustern des Bosses und entsprechenden Hindernissen auszuweichen. Diese Boss Battle-Mechaniken gab es natürlich auch schon in den Mega Drive-Ablegern der 90er Jahre. Aber wirken sie in Sonic Forces nochmals ein ganzes Stück redundanter, als Platzhalter für wirklich kreative Showdowns missbraucht.

Es klingt schlimmer als es ist tatsächlich ist: Wir haben hier keinen Totalausfall wie in Sonic the Hedgehog (06) oder den beiden letzten („großen“) Teilen, Lost Worlds und Sonic Boom – Sonic Forces spielt sich solide, was per se schon viel wert ist, aber zugleich auch so unendlich mittelmäßig. Man könnte meinen, so viele Revivals, wie das Franchise schon erfahren hat, wüssten Team Sonic mittlerweile, was gut funktioniert und was nicht. Nach Sonic Mania haben wir hier aber beinahe wieder einen Rückschritt zu verzeichnen. Vielleichte sollten der Australier Christian Whitehead und seine Mannen aktiver Teil des Team Sonic werden um zu zeigen, wie gutes Level Design gemacht wird.

SCHICKE VISUALS, TREIBENDER SOUNDTRACK

Der Wechsel zwischen 3D- und 2D-Plattforming-orientierten Passagen funktioniert indes erstaunlich natürlich und schaut auch gut aus. Generell ist die visuelle Komponente etwas, dass mir sehr viel Spaß an Sonic Forces gemacht hat. Angetrieben wird Sonic Forces erstmals von der „Hedgehog 2 Engine“, einer deutlich modifizierten Variante der „Hedgehog Engine“, die seinerzeit für Sonic Unleashed entwickelt worden ist und auch für Sonic Generations und Sonic Lost Worlds verwendet wurde. Die Weiterentwicklung bringt realistischere Licht- und Schatteneffekte, hochwertigere Texturen, die „Modern Sonic“-3D-Passagen wirken noch „berauschender“ und das Geschehen läuft in butterweichen 60 FPS bei 1080p Auflösung über den Bildschirm. Zumindest auf der PlayStation 4 konnte ich bis auf ganz vereinzelte, nicht relevant nennenswerte Framerate-Einbrüche keine größeren technischen Probleme verzeichnen. Die Nintendo Switch-Version bringt hingegen der schwächeren Hardware geschuldet ein 30 FPS-Cap mit, was seltsam anmutet, wenn man bedenkt, dass Sonic Lost Worlds auf der ähnlich konzipierten Wii U-Hardware ebenfalls die 60 FPS@1080p durchhielt. Zudem fehlen in der Switch-Fassung einige Schatten- und Lichtreflexionen und höher aufgelöste Texturen. Die PC-Version hat wiederum, soweit ich mich da eingelesen habe, an einigen Stellen mit Tonaussetzern zu kämpfen, was aber sicherlich mit einem nachgeschobenen Patch behoben werden kann. Nichtsdestotrotz ist Sonic Forces einer der bislang am schönsten aussehenden Sonic-Titel und macht in der Hinsicht Spaß.

Auch beim Soundtrack und Score liefert Sonic Forces sehr gute bis mindestens solide Hausmannskost und setzt dabei klassisch auf eine Mischung aus Chiptunes-Klängen mit nostalgischem 16-Bit Flair und treibenden J-Pop Klängen. Einige der orchestralen Tracks wurden zudem aufwändig durch das London Symphony Orchestra arrangiert. Insofern gibt es an dieser Stelle nichts zu bemängeln.

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UMFANG UND SCHWIERIGKEITSGRAD

Geschmälert wird die schicke audiovisuelle Präsentation allerdings durch den vergleichsweise geringen Umfang. Spielt man sich zügig durch die Hauptkampagne, braucht man in der Regel lediglich 3-4 Stunden, in jedem Falle aber nicht mehr als 5 Stunden. Das ist für ein Big Budget-Spiel deutlich zu wenig. Zwar gibt es 30 Stages, die aber allesamt relativ linear und „knackig“ ausfallen, zumal sie relativ autonom zueinanderstehen. Hier hätte ich mir ein „Sonic Adventure“-ähnliches Konzept gewünscht, wo alle Stages/Zones durch eine Hub-Welt miteinander verbunden werden. Mario Odyssey hat schließlich was Ähnliches gemacht und dabei trotzdem nicht antiquiert gewirkt. Ist man Trophy-Jäger und Perfektionist – jagt also folglich allen S-Rängen hinterher, schaltet sämtliche Items frei, sammelt alle Stern- Counter und Mond-Medaillen ein – dann kommt man auf ca. 20 – 25 Stunden Spielzeit. Dabei fällt auf: Auf die höchsten Ränge zu kommen, scheint nicht besonders schwer. Sonic Forces ist ein wirklich leichtes Spiel und die höchsten Ränge nimmt man zumindest in der ersten Hälfte im Vorbeigehen mit. Zwar gibt es zwei Schwierigkeitsgrade, aber selbst der höhere von beiden dürfte fortgeschrittenere SpielerInnen kaum fordern. Hier wäre eine steilere Lernkurve wünschenswert und ein Level Design, dass auch mal etwas behäbigeres aber spannendes Plattforming bietet.

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Fazit:

Sonic Forces kann durchaus Spaß machen, ist aber zugleich eine recht durchwachsene Erfahrung. Gerade nach dem herausragenden Sonic Mania habe ich mir erhofft, dass das grandiose Level Design und das wunderbar responsive und exakte Spielgefühl auf den großen Bruder abfärben. Stattdessen ist das Gegenteil der Fall: Gerade die „Classic“-Sonic Passagen fühlen sich seltsam plump an,  die Levels bremsen ob ihres mediokren Designs zu häufig aus. Und generell fühlt sich die Dynamik zwischen den auf Schienen ablaufenden „Modern Sonic“-3D Passagen, den behäbigen 2D-Passagen von „Classic Sonic“ und dem Gameplay unserer Eigenkreation nicht besonders homogen an. Erschwerend kommt hinzu, dass die Hauptkampagne mit rund drei bis vier Stunden Spielzeit extrem schnell vorbei ist und dass die 30 Levels oftmals viel zu kurz sind. Auf der Haben-Seite haben wir einen audiovisuell ungemein hübschen Sonic-Titel und einen hübschen Charaktereditor als Feature, aus dem man hätte wesentlich mehr machen können. Auch die Story finde ich in ihren Grundzügen recht spannend – Wenn aber beklemmend dystopische Momente mit Sonic’s unpassend markigen One-Linern konterkariert werden, gerät die Erzählung auch hier immer wieder unnötig ins Stolpern. In seinen besten Momenten wirkt Sonic Forces, als hätten Team Sonic tatsächlich eine zusammenhängende Vision, wie das Spiel sein solle und hätten sich dann auf dem Weg zum Endprodukt bezüglich der Spielmechanik der drei Protagonisten in der Umsetzung verzettelt. Dennoch geht der Titel nach dem sehr guten Sonic Generations und den eher unglücklichen Sonic Boom- und Sonic Lost Worlds-Titeln in eine tendenziell okaye Richtung. Gerade die Ausrüstungsmechaniken mit den Wispons würde Perspektiven eröffnen ein modernes „Sonic Adventure“ zu entwickeln.

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