© ATLUS/SEGA

Als 2010 das taktische Rollenspiel Radiant Historia für den Nintendo DS erschien, neigte sich der Lebenszyklus der klassischen DS-Familie langsam dem Ende zu, da mit dem Nintendo 3DS bereits der Nachfolger in den Startlöchern stand. Das von ATLUS entwickelte taktische Rollenspiel hatte seinerzeit viele Qualitäten: Eine herausragend geschriebene, durchaus komplexe Zeitreise-Story, ein cleveres Kampfsystem und sympathisch konzipierte Charaktere. Ich würde sogar behaupten, Radiant Historia dürfte eines der besten RPGs auf einem Handheld sein, dem es nicht gerade an Japano-RPG Futter mangelte. Nichtsdestotrotz dürfte der Release Zeitpunkt merklich dazu beigetragen haben, dass Radiant Historia eher ein Randdasein fristete. Im Gegensatz zu Japan und Nordamerika, erschien Radiant Historia in unseren europäischen Breitengraden nie offiziell – Es ist daher schön, dass uns SEGA/ATLUS via Deep Silver nun mit Radiant Historia: Perfect Chronology den perfekten Remaster/Remake-Kandidaten für den Nintendo 3DS (wobei eine Umsetzung für die Nintendo Switch vielleicht sinnvoller gewesen wäre?) beschert haben. Kann die inhaltlich erweiterte Neufassung denselben Zauber verbreiten, wie das sieben Jahre alte Original? Das erfahrt ihr hier:

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VERBESSERUNGEN UNTER DER HAUBE

Zugegeben, gerade visuell tut Radiant Historia: Perfect Chronology nicht viel, um den unbedarften Spieler von seinen innewohnenden Qualitäten zu überzeugen. Hat schon das originale Radiant Historia nicht unbedingt die Hardwarepower des betagten Nintendo DS ausgereizt, so wurde auch beim 3DS-Remaster diesbezüglich nicht viel geändert. Primär macht Radiant Historia: Perfect Chronology Gebrauch von der höheren Auflösung des 3DS. Wichtige Schlüsselszenen werden jetzt nicht mehr nur über (die deutlich verbesserten) Charakterportraits, sondern auch über Anime-Standbilder erzählt. Das HUD zeigt nun detailliertere Informationen zum taktischen Vorgehen. That’s it! Gerade wenn man sich das aktuelle Shadow of the Colossus-Remake für die PlayStation 4 anschaut oder die letztes Jahr veröffentlichte Metroid II-Neuauflage für den Nintendo 3DS, dann sieht man, wie imposant eine technische Frischzellenkur aussehen kann.

Stattdessen liegen die Verbesserungen unter der Haube – Denn die ohnehin schon komplexe und vielschichtige Erzählweise wird um einen ganzen Batzen neue Inhalte erweitert, die neben dem klassischen Modus auch in einem neuen „Friendly“-Spielmodus erspielt werden können. Damit hat ATLUS auch ein schwerwiegendes Defizit behoben:

Denn auf der einen Seite haben wir ein gleichermaßen intuitives wie auch komplexes und cleveres rundenbasiertes Kampfsystem, das ebenso dynamisch wie fordernd ist – auf der anderen Seite haben wir eine hervorragend erzählte Zeitreise-Story um alternative Zeitstränge und Multiversen, die aufeinander Einfluss nehmen. Das Problem ist, das gerade diese beiden Spielelemente im Original gewissermaßen übereinander gestolpert sind. Denn die Zeitreise-Story mit ihren alternativen Handlungssträngen hat erfordert, dass bestimmte Passagen immer wieder aufs Neue wiederholt werden müssen. Das hat das Spiel tatsächlich unnötig erschwert und der Story ein wenig den Flow geraubt. Der „Friendly“-Modus entschlackt also gewissermaßen den repetitiven Charakter der Original-Spielmechanik. Puristen könnten nun einwenden, dass das Spiel durch diese Maßnahme bloß „vercasualisiert“ wird – und ja, irgendwo haben sie auch Recht, denn die Geschichte rückt hier deutlich in den Vordergrund. Die Taktik-RPG Komponente wird zwar nie ganz aufgegeben, dazu sind die Gefechte nach wie vor zu spannend, dennoch fühlt sich Radiant Historia: Perfect Chronology manchmal beinahe wie eine extrem gut geschriebene Visual Novel an.

UND TÄGLICH GRÜßT DAS MURMELTIER

Radiant Historia: Perfect Chronology erzählt die Geschichte des Soldaten Stocke, der durch das sogenannte White Chronicle in der Lage ist, durch die Zeit zu reisen. Ausgangslage ist der Krieg zweier Reiche auf dem Kontinent Vainqueur, Alistel auf der einen, Granorg unter der Herrschaft von Königin Protea auf der anderen Seite des Konflikts. Stocke ist zu Beginn Teil einer Geheimdienst-Einheit in Alistel und soll unter seinem ominösen Boss Heiss die Lage untersuchen. Eine andere Bedrohung kommt nämlich vonseiten der sogenannten Sandpest („Sand Plague“) – Ein Phänomen, das zunehmend Teile des Kontinents im wahrsten Sinne des Wortes „in den Sand setzt“ und auch vor den Bewohnern nicht Halt macht. Denn durch den Manaentzug bei lebendigen Organismen verwandeln sich Menschen, Tiere und Monster wahrhaftig in Sand. Es ist nur natürlich, dass die Sandpest nicht unbedingt zur Befriedung zwischen den verfeindeten Reichen führt, denn man geht natürlich davon aus, dass das „böse“ Granorg hinter der Versandung von Vainqueur steht.

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Im Laufe der Haupthandlung kann Stocke zunächst zwei alternierenden Geschichtsverläufen folgen, in denen er einerseits weiterhin unter Heiss im Geheimdienst tätig ist, andererseits gemeinsam mit seinem besten Freund Roche, einem ranghohen Militär-Offizier, als Soldat der Armee von Alistel dient. Beide Story Verläufe greifen ineinander, weil Stocke jeweils unterschiedliche Fähigkeiten erlernt, welche Auswirkungen auf die anderen Timelines haben. Radiant Historia Perfect Chronology wird in den konfliktreichen Verzweigungen immer komplexer, mit immer mehr Figuren auf dem Tableau, wo Freund und Feind nicht immer ganz klar voneinander zu unterscheiden ist und wo es schlussendlich natürlich immer um das Schicksal der Welt geht, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich jemand mit dem bösen Zwillingsäquivalent „Black Chronicle“ ebenfalls an den Zeitlinien zu schaffen macht.

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Die Zeitsprünge werden in der sogenannten „Historia“ realisiert, einer Art Zwischendimension, die von den beiden elfenähnlichen Wächtern Teo und Lippti verwaltet wird. Hier kann Stocke die verschiedenen Zeitlinien mit ihren Konsequenzen überblicken und zu bestimmten „kritischen Knotenpunkten“ („Nodes“) springen, um die Timelines mit seinen Entscheidungen zu beeinflussen. Die Story ist über weite Strecken ein multiperspektivisches Hin- und Her zwischen den einzelnen Kapiteln, ganz im Stile von Bill Murray’s Kultfilm „Und täglich grüßt das Murmeltier“ – Daraus ergeben sich entsprechende „Zeitpuzzles- bzw. Rätsel“, wo man sich in den ständig wiederholenden Dialogen sozusagen an den subtilen Veränderungen in den jeweiligen Zeitebenen orientieren muss, mit Blick auf das Wissen, dass man aus einer anderen Zeitlinie mitbringt.

Während im originalen Radiant Historia zwar daran gedacht wurde, dass die immer wiederkehrenden Cutscenes sofort übersprungen werden können, galt das für die Kämpfe aber eben nicht. Und so musste man sich immer und immer wieder mit denselben Standard-Gegnern anlegen, die ständig respawnen, während man den einen Schlüsselmoment sucht, der quasi die Lösung für das temporale Dilemma ist. Selbst das clevere Kampfsystem konnte da nicht retten, dass sich das mit der Zeit einfach ermüdend anfühlte.

Hier setzt dann der „Friendly Mode“ ein – Bereits im originalen Radiant Historia konnte man nämlich außerhalb der instanzierten Kampfsequenzen den Gegnern einen Schwerthieb verpassen, das führte dann dazu, dass man im Kampf ein paar Initiative-Boni abstauben konnte und in einer vorteilhaften Lage war. Im Friendly Mode von Perfect Chronology hingegen bewirkt der Hieb, dass die Gegner komplett besiegt werden, bevor es zur Kampfsituation kommt – mitsamt allen Erfahrungspunkten und Items/Geldboni, die damit einhergehen. Dadurch kann man sich natürlich vollends auf die Story konzentrieren.

UND: Man hat die Wahl. Denn solange man tatsächlich die Kämpfe bestreiten möchte, besteht diese Möglichkeit auch. Auf der anderen Seite gilt dieser präventive Schlag auch nicht für Plot-kritische Kämpfe (gegen Zwischengegner, Bosse oder sonst wie wichtige Widersacher) oder die neuen (insgesamt mehrstündigen) Side Quests. Insofern lässt auch der neue Spielmodus in Perfect Chronology die Taktik RPG-Komponente nicht gänzlich links liegen, sondern reduziert sie nur ein wenig. Eine Maßnahme, die ich für eine gelungene Detailverbesserung halte.

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CLEVERES KAMPFSYSTEM

Und wenn ich schon ständig vom cleveren Kampfsystem plappere: Das instanziierte Kampfareal ist in ein 3×3 Felder großes Raster geteilt, auf denen sich die Widersacher unterschiedlich positionieren. Auf der rechten Seite hingegen befinden sich Stocke und seine zwei Partymitglieder in fester Stellung. Die Stellung der Gegner auf dem Raster beeinflusst die Stärke ihrer Angriffe – Monster, die etwa direkt an der Front, die Auge in Auge mit der dreiköpfigen Party stehen, richten mehr Schaden an, als Monster die hinten stehen. Auf der anderen Seite stecken sie auch mehr Treffer ein. Befinden sich mehrere Monster an derselben Position, kassieren sie kollektiv den entsprechenden Schaden. Stocke und seine Mannen können mit entsprechenden Skill-Angriffen natürlich die Position der Monster manipulieren. Ein „Push Forward“ setzt die Monster nach hinten, man kann hintere Monster mittels einem „Grapple“ auch nach vorn ziehen, und so weiter und so fort. Beim rundenbasierten Kampfsystem kann man außerdem auch die Aktionen der Party in Warteschleife setzen. Wenn es taktisch klug oder erforderlich ist, kann Stocke oder ein anderer Charakter seine Aktion als zeitverzögert oder vorziehend ausführen. Aus diesen simplen, aber durchdachten Kernmechanismen ergeben sich wunderbar dynamisch-reaktive und Fordernde Gefecht Situationen, die gerade durch das entschlackte System des Friendly-Modes tatsächlich an Reiz gewinnen.

MEHRSTÜNDIGER NEUER CONTENT

Ansonsten wurde Radiant Historia Perfect Chronology auch inhaltlich nochmal deutlich aufgewertet – Zahlreiche neue Side Stories mit entsprechend neuen „Knotenpunkten“ sorgen für mehrere zusätzliche Stunden Spielzeit. Neben den Nebenquests lassen sich die zusätzlichen Inhalte grob in zwei wesentliche Bestandteile gliedern:

Wir haben einerseits die sogenannte „Vault of Time“ – Das ist mehr oder minder ein Bonus Dungeon im Dungeon Crawler-Style. Im Prinzip kämpft man sich von Etage zu Etage durch immer stärker werdende Monsterhorden. Der zunehmende Schwierigkeitsgrad steht dabei aber auch im Verhältnis zu den immer wertvolleren Belohnungen, die winken. Zudem befindet sich in der Vault of Time ein Shop, der mächtige und teils einzigartige Ausrüstungsgegenstände verkauft. Insofern ist das vor allem für jene interessant, die Radiant Historia Perfect Chronology auf dem klassischen Wege bewältigen. Hier steht also primär das Meistern des Kampfsystems im Vordergrund.

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Das zweite, vielleicht sogar wichtigere, weil ebenfalls erzählerische, Bonus Feature dürfte aber die Dunamis-Timeline sein. Quasi unabhängig von den „Standard“- und „Alternate“-Zeitlinien, überkreuzt sich dieser Handlungsstrang zwar zeitweise mit der Haupthandlung, bleibt davon ab aber isoliert. Eingebettet in einem Zeitreise-Gefäß, das von der mysteriösen Nemesia betreut wird (Die „Tardis“ aus Doctor Who lässt grüßen), verfolgt Dunamis eine Linie, die am ehesten dem ähnelt, was wir „Kontrafaktische Geschichte“ nennen, also dem „Was-wäre-wenn-Gedanken?“ – Insofern ist die Dunamis-Timeline in der Welt von Radiant Historia nichtkanonisch. In den merkwürdigen Abarten der eigentlichen Wirklichkeiten zeigen sowohl Gefährten- wie auch Widersacher zum Teil recht verquere Verhaltenszzüge. Alles untersteht einer Hauptquest, in der man merkwürdigen magischen Artefakten nachjagt. Und obgleich natürlich das Dunamis-Feature jetzt nicht unbedingt essentiell für den Haupthandlungsstrang ist, so bietet es mit seinen teils bizarren Gedankenspielereien einen witzigen und auflockernden Tonfall innerhalb der Erzählung.

HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE VETERANEN

Ich habe mich im Rahmen dieser Besprechung ziemlich stark auf die Neu- und Eigenheiten des sogenannten „Friendly Modes“ fokussiert. Für jene, die es gerne knackiger bzw. klassischer haben wollen, bietet Perfect Chronology aber nach wie vor den originalen Modus, der sogar um einen härteren Schwierigkeitsgrad ergänzt wurde, der nuanciertes und tiefes taktisches Verständnis für das Kampfsystem im Besonderen erfordert. Insofern dürfen sich auch Puristen in Radiant Historia Perfect Chronology wohlfühlen.

LOKALISIERUNG UND SYNCHRONISATION

Nach wie vor ist Radiant Historia: Perfect Chronology komplett mit englischen Bildschirmtexten ausgestattet, eine deutsche Sprachoption gibt es schlichtweg nicht. Gerade SpielerInnen, die eher auf ihr Schulenglisch zurückgreifen müssen, werden sich hier zeitweilig schwer tun, da die Texte partiell durchaus anspruchsvoll sind. Das dürfte leider dem Umstand geschuldet sein, dass bereits das Original nur in Englisch verfügbar war (hierzulande kam Radiant Historia nie auf den Markt) und zudem auch der Nachfolger vermutlich eher als Produkt für die Nische gehandelt wird. Insofern hätte es sich vermutlich gerade zum Ende des 3DS-Zyklus nicht mehr wirklich rentiert, eine aufwendige deutschsprachige Lokalisierung zu finanzieren. Das ist gerade ob der Vielschichtigkeit des Werkes schade, denn limitiert es damit auch den SpielerInnen-Kreis.

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Eine großes Plus gegenüber dem Original ist hingegen der Umstand, dass die Dialoge nunmehr vollständig vertont worden sind – Das ist gerade angesichts der Textlastigkeit des Titels ungemein entlastend, zumal die SprecherInnen einen überwiegend sehr guten Job machen und die Emotionen und Temperamente der einzelnen Charaktere gut zur Geltung bringen. An dieser Stelle gibt es also ein Lob.

Fazit:

Mit Perfect Chronology hat ATLUS dem Nintendo DS-JRPG Underdog ein würdiges Remaster für den 3DS beschert, das zwar nicht audiovisuell, dafür aber vor allem erzählerisch ordentlich aufgemöbelt wurde. Gerade der „Friendly Mode“ entschlackt das Gameplay auf denkbar sinnvolle Weise und rückt die hervorragend erzählte, ungemein komplexe Zeitreise-Geschichte von Stocke in den Vordergrund.  Die zahlreichen neuen Side Stories, sowie die beiden Bonusinhalte, die sich einerseits auf den Aspekt „Kämpfen“, andererseits auf das „Storytelling“ fokussieren, zeigen, dass die Entwickler die zugrundeliegenden, für sich stehenden Qualitäten und ihr Verhältnis zueinander begriffen haben und genau diesen Punkt bei Perfect Chronology merklich verbessert habe.

Leider scheint es, dass auch das Remaster ein ähnliches Schicksal treffen wird wie das Ur-Spiel – denn erscheint es abermals erst am Ende des Lebenszyklus des 3DS, der kurz davor ist, von der Switch abgelöst zu werden. Insofern wäre es beinahe wünschenswert, dass noch ein Nintendo Switch-Port kommt. Für alle, die ihren 3DS aber noch nicht eingemottet haben, zockt dieses grandiose Spiel. Fans von guten Geschichten, aber auch Fans von ausgefeilten Spielmechanismen werden es nicht bereuen.

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