©Oh! Great · SHUEISHA/ avex

Wenn uns Anime aus dem Shōnen- und Seinen-Bereich eines gelehrt haben, dann, dass das Leben ein permanenter Struggle ist. Aber mit starkem Willen und eiserner Disziplin wird man kontinuierlich stärker, wächst über sich hinaus und trotzt jedwedem Hindernis. Und vielleicht ist die Adoleszenz ja tatsächlich ein ständiger sozialdarwinistischer „Survival of the Fittest“ –  Auf Tengo Tenje (was in der buddhistischen Lehre für Himmel und Hölle steht), der auf der gleichnamigen Manga-Reihe von Oh! Great beruhenden Animeserie, trifft das jedenfalls zu. Es geht um ein testosterongeschwängertes, generationenübergreifendes und äußerst blutiges Kräftemessen. Die Gesamtausgabe wurde jüngst, am 24. November 2017, über Nipponart in einer edlen Collector’s Edition auf den Markt gebracht, und wie immer bedanken wir uns brav für das zur Verfügung gestellte Besprechungsexemplar.

STORY //STRESS OHNE GRUND UND FLASHBACKS OHNE ENDE//

Der hitzköpfige Teenager Soichiro Nagi ist zusammen mit seinem Kumpan, dem Südafrikaner Bob Makihara, neu an der Todo-Akadamie. Die beiden prügeln sich für ihr Leben gern und haben im Sinn, als die sogenannten „Knuckleheads“ die Schule ein wenig aufzumischen und in der Hierarchie aufzusteigen, wie sie es schon mit einer Vielzahl an Schulen zuvor gehandhabt haben. Und was zunächst wie ein leichtes Unterfangen ausschaut, die beiden prügeln sich nämlich mühelos einmal quer durch die unteren Jahrgangstufen der Akademie, findet sein jähes Ende, als Nagi auf Maya Natsume trifft, die ihn in Gestalt eines Kindes in die Schranken weist, nur um sich im nächsten Moment in eine vollbusige Schönheit zu verwandeln. Mit einem gezielten Hieb befördert sie den Raufbold aus dem Fenster, der prompt in die Damenduschen kracht, wo sich Mayas reichlich entblößte Schwester Aya Hals über Kopf in den wütenden Blondschopf verliebt. Ähm klar… so funktioniert Liebe auf den ersten Blick eben.

So weit, so dämlich wird in die Geschichte von Tenjo Tenge eingeführt. Doch was zu Beginn lediglich als schwacher Legitimationsgrund für hitzige Kämpfe und bouncende Brüste herhalten muss, entwickelt sich tatsächlich zu so etwas wie einer komplexen Geschichte. Spätestens nachdem die Machtstrukturen an der altehrwürdigen Todo Akademie etabliert worden sind und im Exekutivkomitees der zentrale Antagonist ausgemacht ist, nimmt Tenjo Tenge deutlich an Fahrt auf. Der blutig ausgetragene Konflikt zwischen Mayas Juken-Club, zu dem nach wenigen Episoden auch Nagi und Bob hinzustoßen, und dem von Mitsuomi Takayanagi geführten Komitee findet seinen Ursprung nämlich in einer zutiefst tragischen Romanze, in die auch Mayas verstorbener Bruder Shin Natsume involviert ist. In seiner Erzählweise ist Tenjo Tenge zutiefst japanisch: Es ist primär eine Geschichte, die sich motivisch um solche archaischen Dinge wie Freundschaft, Loyalität, Neid, Liebe, Rache und den unbedingten Willen stärker zu werden, dreht.

Der narrative Aufbau der 24 Folgen-starken Serie ist dabei aber reichlich konfus geraten: Die Einleitung ist wie bereits oben benannt selten dümmlich, dennoch werden die einzelnen Charaktere und die Beziehungen zwischen ihnen im Verlauf der Serie sehr detailliert gezeichnet. Ab dem Zeitpunkt, wo sich so etwas wie ein roter Faden erkennen lässt, der zunehmend stärkere Nagi als verheißungsvoller Gegenpol gegen den übermächtigen Mitsuomi (der wiederum der ältere Bruder von dem sanften Masataka, Mayas Zögling im Juken-Club ist) aufgebaut wird, wird ein plötzlicher, unverhoffter Cut gesetzt.  Als die Mitglieder des Juken-Club Maya über ihre Vergangenheit befragen, beginnt ab Folge 10 ein gewaltiger Flashback in Mitsuomi’s und Mayas konfliktreiche Geschichte, der sich einfach mal über 6 Folgen erstreckt und den Fluss innerhalb der Geschichte einfach mal komplett unterbricht. Dort steht dann quasi Mayas dezent inzestuöse Beziehung zu ihrem Bruder im Vordergrund, der ebenso wie Aya über das gefährliche und unberechenbare Drachenauge verfügt, welches nur sie im Schach halten kann. Aus dem resultiert das angespannte Verhältnis von Shin zu seinem besten Freund Mitsuomi, da Shin unter dem Einfluss des Drachenauges die Mitglieder des Katana-Klubs meuchelt, aus dem später die Juken-Vereinigung hervorgehen soll und zunehmend in den Wahnsinn schlittert. Im Verlauf eines Komplotts, in den die Takayanagi-Familie involviert ist, die als eine Art Kontrollinstanz fungiert, kommt es zu einem vorläufigen Showdown zwischen Shin und Mitsuomi, der die Verhältnisse des ersten Teiles begründet. Im Anschluss rudert man in aller Seelenruhe zurück zur Haupthandlung, in der die Vorbereitungen für das Schulturnier getroffen werden, auf welches alle Handlungsstränge schlussendlich hinauslaufen und wo alle Rechnungen im Kampf beglichen werden sollen… bis dann erneut ein massiver Flashback erfolgt, der zumindest interessanter gestaltet ist als der erste.

Wenn die Handlung denn wenigstens abgeschlossen wäre, aber nein… das Arrangement der Plots ist schlicht ungemein verwirrend und vor allem unfertig – Das Pacing des Flashbacks reißt einen komplett aus der Handlung heraus und sorgt dafür, dass es so wirkt, als könne sich die Serie nicht für einen Protagonisten oder eine Story entscheiden. Wohlwollend könnte man die Erzählung als ambitioniert betiteln – Tatsächlich dürfte aber wohl die Bezeichnung „zerfahren“ viel näher an der Realität sein. Der Punkt ist eben auch: Während die Handlungsebene Juken-Club gegen Exekutivkomitee dem typischen David gegen Goliath-Schema entspricht, dafür aber eben auch nette humoreske Elemente beinhaltet, ist der ganze erste Flashback einfach bierernst und von triefendem Pathos durchzogen. Nun könnte man argumentieren, dass sich Tenjo Tenge ja zumindest die Zeit nimmt, alle offenen Fragen zu beantworten. Aber eben auch das ist nicht der Fall und so endet Tenjo Tenge mit einem höchst unbefriedigenden Finale. Ein Schelm ist übrigens, der darauf spekuliert, dass die beiden OVAs, die als „Ultimate Fight“ ebenfalls auf den 4 Scheiben der Collector’s Edition enthalten sind, diese Lücken füllen. Nein, auch sie führen neue Handlungsstränge ein, die sie dann schlussendlich relativ offenlassen. Hier hätte man sich seinerzeit wünschen können, dass sich die Handlung über 2 Staffeln erstrecken würde, um eben die Lücken zu füllen.

Was mir hingegen recht gut an dem Anime gefallen hat, war die ganze Lore um die Todo-Akademie, die natürlich ganz in japanischer Geschichte verwurzelt ist – Die Todo-Akademie, die beim Übergang Japans vom Feudalstaat zur industriellen Großmacht in der imperialen Restaurations-Ära der Meiji-Zeit als Ausbildungsstätte für unterschiedliche Kampfstile begründet worden ist, ist als Setting denkbar interessant – Aus der historischen Verortung, die nur kurz umrissen wird, hätte man für den Kontext der Erzählung deutlich mehr herausholen können. Auch wie die ganze fernöstliche Philosophie um die Bedeutung des Qi in der Kampfkunst in die Handlung eingebettet wurde, hat mir gut gefallen. Gerade mit seinem realen Background hätte das alles aber deutlich mehr ausformuliert werden können und hätte enormes erzählerisches Potential gehabt.

Gar nicht gefallen hat mir der platte und unangebrachte Sexismus im Anime, der im Seinen-Genre ja ohnehin (zu) omnipräsent ist. Beinahe alle weiblichen Figuren haben abseits ihrer optisch hochsexualisierten Darstellung nämlich einen sehr submissen Charakter und werden im Prinzip schlicht in eine Opfer-Rolle hineingedrückt. Das fängt natürlich primär bei Aya an, trifft aber eben auch auf die als stark portraitierte Maya Natsume zu. Im Vergleich zu den männlichen, beinahe unbesiegbaren Figuren, wird immer wieder auf die physischen (und zum Teil auch geistigen) Grenzen der weiblichen Figuren verwiesen. Alle männlichen Charaktere scheinen zudem eine gewisse Grundangst vor dem weiblichen Geschlecht zu haben. Erschwerend kommt die Darstellung oder zumindest die Andeutung sexueller Gewalt hinzu, die hier zu stark auf den „Shock-Value“ setzt und damit erheblich trivialisiert wird. Ich habe nichts gegen Fanservice oder Ecchi, also softerotische Elemente, im Manga- oder Anime, auch wenn strenggenommen natürlich Pantyshots und dergleichen eine im feministischen Diskurs ziemlich streitbare Sache sind, aber in Tenjo Tenge fühlt sich das Ganze einfach zu perfide und misogyn an, um wirklich sexy zu sein. Ich schätze beinahe, dass das dem Umstand geschuldet ist, dass Oh! Great sich hier nicht ganz von seiner Hentai-Vergangenheit zu lösen vermochte.

BILD UND ANIMATION

Tenjo Tenge ist Style-over-Substance in Reinkultur. Was der Anime erzählerisch nicht schafft, macht er durch seine audiovisuelle Gestaltung wieder wett. Das Art- und Charakterdesign find ich absolut klasse – auch wenn hier natürlich alle stereotypen Register des Shonen/Seinen-Genres gezogen werden: Die körperlichen Features werden natürlich absolut überspitzt. Nahezu jeder männliche Charakter ist ein Muskelpaket mit maximal ausdefiniertem Sixpack und entsprechend ausgeprägtem Bizeps. Und natürlich mit dem „wahnsinnig gezackten Haar“ ausgestattet, das der US-amerikanische Comiczeichner Jason Thompson mal als ein ständig wiederkehrendes Muster des Genres ausgemacht hat. Ich mag den wahnsinnig detaillierten Stil der Figuren. Und natürlich sehen die weiblichen Figuren mit ihrem langen Haar, den langen Beinen und den ausladenden Formen recht üppig aus, wenngleich man natürlich nicht umhin kommt zu bemerken, dass hier purer Fanservice für die überwiegend männliche Zielgruppe betrieben wird.

Die Locations sehen dem gegenüber zwar recht einfach gehalten, aber dennoch sehr ästhetisch aus und warten mit einigen durchaus poetischen Shots auf (und nein, damit meine ich nicht die zahlreichen tiefen Einblicke unter die Röcke der Protagonistinnen). Das von MADHOUSE INC. produzierte Tenjo Tenge wurde 2004 erstausgestrahlt und hat demnach über 13 Jahre auf dem Buckel. Ob dieses Umstandes finde ich die Animationen in den gut choreographierten Kampfsequenzen prinzipiell vergleichsweise geschmeidig. Natürlich sind sie nicht so fließend wie in aktuellen Produktionen, aber verglichen mit anderen Machwerken aus dieser Zeit können sie sich durchaus sehen lassen.

Zartbesaitete Naturen sollten außerdem möglicherweise einen Bogen um Tenjo Tenge absehen: Der Gewaltgrad ist relativ hoch – Partiell geht Tenjo Tenge regelrecht ans Eingemachte und macht da keine Gefangenen. Da fließt das Blut durchaus mal in Strömen. Und wenngleich nicht gesplattert wird wie beispielsweise in Elfen Lied oder Berserk, so wirkt die Gewalt in ihrer realistischen Darstellung durchaus sehr roh und physisch.

Die Blu-Ray Umsetzung ist dabei recht gut gelungen. Satte Farben und starke Kontraste zeichnen das gestochen scharfe Bild aus und lassen nicht erkennen, dass die Vorlage über 10 Jahre alt ist. Hier wurde also extrem gute Arbeit geleistet. Die Blu-Ray Fassung ist in 1080p aufgelöst und bietet sehr gutes HD-Niveau, wenngleich natürlich dem Alter geschuldet das 4:3 Bild von der Pillarbox umrahmt werden muss. Hier hätte man sich, ob der starken Schwerpunktsetzung auf das Artdesign, gegebenenfalls ein 16:9 Remaster wünschen können.

TON UND SYNCHRONISATION

Die deutsche Synchronisation bei Tenjo Tenge ist ebenfalls sehr wertig, größtenteils on point und mir sind bei keiner der Stimmen irgendwelche eklatanten Defizite aufgefallen. Der Ton liegt standesgemäß im PCM 2.0 Format vor, wahlweise mit Deutschen oder Japanischem Dub. Die Abmischung ist dabei glasklar und absolut state-of-the-art, wenngleich sie gefühlt eher in die Höhen geht und die basslastigen Regionen relativ ungenutzt lässt. Hier hätte man gegebenenfalls mehr mit der Tondynamik arbeiten können.

Das Opening („Bomb A Head“ des japanischen Producers/Rapper m.c.A.T.) ist ein gewöhnungsbedürftiger Hip-Hop/Crossover-Track, der bei mehrmaligem Hören ungemein starke Ohrwurm-Qualitäten entfaltet. Sehr dynamisch und vorwärts trabend, passt er in seiner hektischen Machart sehr gut zur Anime-Serie. Der Outro-Song ist da deutlich sanfter und melancholischer und wirkt mit Blick auf den Gewaltgrad innerhalb der Serie merkwürdig deplatziert. Der Score innerhalb der Serie hingegen wirkt stets adäquat zum Geschehen und qualitativ hochwertig.

PHYSISCHE UMSETZUNG

Da die Gesamtausgabe von Tenjo Tenge bei Nipponart erschienen ist, kann man erneut von einer sehr hochwertigen Aufmachung ausgehen. Die Collector’s Edition wird auf 4 Blu-Rays ausgeliefert, die sich als Digipack im Pappschuber befinden. Mit dem weißen Hintergrund, dem schönen, schwarz hervorstechenden Lettering und der rechts ausgerichteten dynamischen Pose von Maya sieht das Cover-Artwork meines Erachtens nach besonders edel aus. Wie üblich, wird der Box ein Poster- sowie ein Sticker zum Anime beigelegt.

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Fazit:

Die Anime Umsetzung von Tenjo Tenge ist eine zwiespältige Sache. Ich mag die Darstellung von verschiedenen Martial Arts-Stilen, ich mag die fernöstliche Lore, die sich um die Todo-Akademie und ihre SchülerInnen rankt und ich mag das zwischen Übertreibung und Realismus oszillierende Art Design. Selbst der relativ ambitionierten Erzählstruktur könnte ich etwas abgewinnen – wenn sie denn nicht derartig schlampig hingerotzt wäre. Denn alle Handlungsstränge und die höchst detaillierten Charakterzeichnungen werden ad absurdum geführt, weil keiner der Plots richtig zum Abschluss geführt wird. Die Haupthandlung wird durch ein massives, 6-Episoden umfassendes Flashback unterbrochen, das keinen wirklich befriedigenden Impact auf eben jene hinterlässt. Das Script wirkt daher ein bisschen wie von Schreibern mit Konzentrationsschwierigkeiten verfasst. Auch der mal mehr, mal weniger offensichtliche Holzhammer-Sexismus ist mir immer wieder sauer aufgestoßen. Ecchi? Meinetwegen. Misogynie? Eher nee… Das sind Kritikpunkte, die den Genuss von Tenjo Tenge für mich merklich geschmälert haben.

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ALLGEMEINE DATEN

©Oh! Great · SHUEISHA/ avex

Veröffentlichung: 24. November 2017

Publisher:  Nipponart

Genre: Action, Erotik, Fantasy

Laufzeit: ca. 600 Min

FSK: 16

Bild: 1080p

Ton/Sprache:  PCM 2.0 Deutsch, PCM 2.0 Japanisch

Untertitel: Deutsch

 

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Tenjo Tenge Gesamtausgabe [DVD]

Handlung:

Auf der Todo-Akademie herrschen raue Sitten. Das müssen auch die beiden Kämpfer Soichiro und Bob bereits an ihrem ersten Tag dort feststellen. Wortwörtlich mit Hand und Fuß müssen sie sich an der Schule ihren Status erkämpfen, bis sie auf Maya, die Anführerin des Juken-Clubs treffen. Das toughe Mädchen verpasst den beiden Kampfanfänger erst einmal eine Tracht Prügel, um zu zeigen, wer hier das Sagen hat. Doch auch die ersten amourösen Abenteuer lassen nicht lange auf sich warten…

Quelle: nipponart.de, Amazon ©Oh! Great · SHUEISHA/ avex

 

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